Uni-HD Logo

Argumentationsintegrität in Alltagskommunikation:
Rezeption - Wirkung - Produktion

Psychologisches Institut - Universität Heidelberg

Hauptstraße 47-51, D-69117 Heidelberg
Tel: +49-6221/54-7356, Fax: +49-6221/54-7273
email: Ursula.Christmann@psychologie.uni-heidelberg.de

Fachrichtung:

Psychologie, Sprachpsychologie in Vernetzung mit Denk-, Sozialpsychologie und Pragmalinguistik
 
 
Leiter/in: Prof. Dr. Norbert Groeben 
e-Mail: N.Groeben@rrz.uni-koeln.de
Universität zu Köln 
Lehrstuhl Psychologie II 
Herbert-Lewin-Str.2 
50931 Köln 

Dr. Ursula Christmann
e-Mail: Ursula.Christmann@psychologie.uni-heidelberg.de

Mitarbeiter: Jürgen Flender, M.A., Dipl.Psych. 
e-Mail: Juergen.Flender@psychologie.uni-heidelberg.de

Christoph Mischo, Dipl.Psych. 
e-Mail: Christoph.Mischo@psychologie.uni-heidelberg.de


(0) Überblick

Das Konstrukt der Argumentationsintegrität beschreibt Kriterien zur ethischen Bewertung von Argumentationsbeiträgen. Diese Kriterien sind in Form von Bedingungen, Merkmalen und Standards des (un-)integren Argumentierens expliziert worden. Die Einhaltung dieser Bedingungen haben wir als integres, ihre wissentliche Verletzung als unintegres Argumentieren definiert. Generelles Ziel des Projekts ist es, die Validität dieser Kriterien für die Alltagskommunikation zu überprüfen und explanative Prozeßmodelle der Rezeption, Produktion und Wirkung argumentativer Unintegrität zu erstellen.

Die bisherige Projektarbeit hat sich dabei auf folgende Schwerpunkte konzentriert:

(1)Explikation und binnenstrukturierende Ausdifferenzierung des Konstrukts Argumentationsintegrität in Auseinandersetzung mit der kontemporären Argumentationstheorie sowie der Mißbrauchsproblematik der klassischen Rhetorik. Diese Explikation führte zu 11 Standards des unintegren Argumentierens, die angeben, welche Sprechhandlungen in Argumentationen unter Integritätsperspektive zu unterlassen sind.

(2) Empirisch-experimentelle Validierung der psychischen Realgeltung des Konstrukts. In mehreren Studien konnte gezeigt werden, daß Verstöße gegen die Integritätsstandards kommunikativ auffällig sind, reaktiv erkannt und negativ bewertet werden. Darüber hinaus wurde der Einfluß einer Reihe motivationaler Persönlichkeitsvariablen auf die Rezeption argumentativer Unintegrität überprüft. Als relevant erwies sich dabei insbesondere die Variable der internalen Attributionsvoreingenommenheit.

(3)Pragmalinguistische Beschreibung und Analyse argumentativer Unintegrität. Es wurden umfangreiche Beispielanalysen authentischer Konfliktgespräche zwischen Müttern und ihren jugendlichen Töchtern durchgeführt, die es erlaubten, typische sprachliche Manifestationen von Integritätsverletzungen herauszuarbeiten sowie Faktoren zu identifizieren, die mit dem Auftreten argumentativer Unintegrität kovariieren.

(4)Subjektive Theorien über Argumentationsintegrität. Die Erhebung Subjektiver Theorien wurde an drei Personengruppen durchgeführt: Laien, Juristen/innen und Kommunalpolitiker/innen. Sie gab Aufschluß darüber, in welcher Differenziertheit Personen über das Konstrukt verfügen (nicht-experimentelle Validierung) und in welcher Weise sich die subjektiv-theoretischen Vorstellungen über (un-)integres Argumentieren auf Sprechhandlungen in Alltagssituationen auswirken (Handlungsleitung).

(5)Diagnose von und Reaktionen auf argumentative Unintegrität. Die Diagnose argumentativer Unintegrität wurde als mehrstufiger Prozeß moralischen Urteilens konzeptualisiert. Als Basiskomponenten des Unintegritätsurteils konnten die Schwere einer argumentativen Regelverletzung (Valenz) und der Grad der subjektiven Bewußtheit (absichtlich, leichtfertig, unwissentlich) bei der Herbeiführung solcher Regelverletzungen empirisch gesichert werden. Eine faktorenanalytische Aufbereitung von Komponenten des Bewertungsprozesses führte u.a. zu 10 prozessual relevanten Reaktionsmöglichkeiten auf argumentative Unintegrität, die auf einem Kontinuum mit den Polen Kooperativität und Kooperationsaufkündigung liegen.

(6)Schuldmindernde und schuldbegründende Faktoren der (Un-)Integritätsbewertung. Die beiden Basiskomponenten lassen sich als notwendige, nicht aber hinreichende Komponenten des Unintegritätsurteils auffassen. Entsprechend wurde ein Modell entwickelt und empirisch überprüft, das neben der Tatbestandsmäßigkeit auch die Rechtswidrigkeit und Vorwerfbarkeit der betreffenden Handlung sowie die Zuweisung des Strafmaßes berücksichtigt. Darauf aufbauend wurden in drei empirisch-experimentellen Untersuchungen situative Kontextinformationen identifiziert, die zu einer Änderung der (Un-) Integritätsbewertung führen können.

(7)Relation zwischen sprachlicher Ästhetik und argumentativer (Un-)Integrität. Verschiedentlich ist die Befürchtung geäußert worden, das Konstrukt der Argumentationsintegrität könne eine Überziehung der moralischen Dimension auf Kosten der sprachlichen Ästhetik der Argumentation nach sich ziehen. Im Unterschied dazu nehmen wir an, daß argumentative Integrität und sprachliche Ästhetik gerade nicht gegenläufig sind, sondern daß argumentative Äußerungen nur dann eine optimale Wirkung entfalten, wenn sie zugleich integer und sprachlich-ästhetisch ansprechend sind. Diese Annahme konnte in einer empirischen Untersuchung bestätigt werden, in der die persuasive Wirksamkeit unterschiedlicher Kombinationen von (Un-)Integrität und sprachlicher Ästhetik geprüft wurden. Die Ergebnisse sprechen dafür, daß die Integrität der Argumente als notwendige Voraussetzung für die persuasive Wirksamkeit ästhetischer Elemente anzusetzen ist.

(8)Entwicklung und Validierung einer Skala zur Erfassung der passiven argumentativ-rhetorischen Kompetenz (SPARK) sowie einer computerunterstützten Ökonomieversion (WinSPARK). Für die Evaluation des geplanten Trainingsprogramms (vgl. Punkt 10) sowie für die weitere grundlagenorientierte Forschung wurde eine Skala zur Erfassung der passiven argumentativ-rhetorischen Kompetenz (SPARK) entwickelt. Hierunter verstehen wir die Fähigkeit zur Identifikation von argumentativen, rhetorischen, argumentationslogischen und interaktiven Merkmalen. Zur Erhebung dieser Kompetenzaspekte enthält SPARK konstruierte Argumentationsepisoden mit entsprechenden Aufgaben. SPARK wurde unter dem vorrangigen Kriterium der inhaltlichen Validität entwickelt und in einer Validierungsstudie (N=116) nach Kriterien der Klassischen Testtheorie überprüft. SPARK liegt in zwei inhaltlich parallelen Versionen vor und kann vollständig oder in Teilen eingesetzt werden.

Zur Optimierung der Durchführungs- und Auswertungsökonomie sowie der internen und externen Validität wurde mit ToolBook eine computergestützte Ökonomieversion (WinSPARK) erstellt. WinSPARK unterscheidet sich von SPARK hauptsächlich durch die inhaltliche Beschränkung auf argumentative Auffälligkeiten, durch Einschränkungen des freien Blätterns und angemessene Zeitbegrenzungen bei der Identifikation der Auffälligkeiten sowie durch eine automatische Berechnung ergebnisrelevanter Daten und deren Ablage in einer zugehörigen Datenbank. Die Ergebnisse einer Äquivalenzstudie (N=63) sprechen für die psychometrische Äquivalenz von SPARK und WinSPARK.

(9)Gesamtmodell zur Rezeption argumentativer (Un-)Integrität. Die bisherigen Einzelbefunde zum Einfluß relevanter Variablen auf das Unintegritätsurteil wurden in einer weiteren Untersuchung empirisch integriert. Dabei wurden die für den Diagnoseprozeß als bedeutsam nachgewiesenen Kontextinformationen (Intensität der Regelverletzung, Kompetenz, Selbstkorrektur, weiterreichende Absichten der unfair argumentierenden Person) und Basiskomponenten (Ausmaß der subjektiven Tatbestandsmäßigkeit bzw. Schwere des Regelverstoßes) gemeinsam auf ihren Einfluß auf das Unintegritätsurteil überprüft. Die Ergebnisse bestätigen insgesamt die Konzeptualisierung des Unintegritätsurteils als eines mehrstufigen Diagnoseprozesses.

(10)Anwendung: Training zu: Sensibilisierung für und Reaktionen auf unintegres Argumentieren. Die grundlagentheoretischen Befunde sollen zur Verbesserung individueller Diagnose- und Reaktionskompetenzen eingesetzt werden. Dazu wurde ein Trainingsprogramm (in Form einer Modul-Konzeption) ausgearbeitet, das für unintegres Argumentieren sensibilisieren und eine breite Palette von integren Reaktionsmöglichkeiten auf Integritätsverletzungen bereitstellen soll. Neben drei Einführungsschritten (Warming-up, Problemdemonstration, Erwartungsexplikation/Modulselektion) umfaßt das Training sechs Trainingsdimensionen sowie einen Schlußschritt (Trainingsbewertung/Rückmeldung). Die sechs Trainingsdimensionen stehen in unterschiedlicher Ausführlichkeit jeweils als Kurz-, Lang- und Erweiterungsmodule zur Auswahl. Bei der didaktisch-methodischen Gestaltung wurden neben bewährten Vorgehensweisen auch Prinzipien neuerer konstruktivistischer Lerntheorien berücksichtigt. Das Trainingsprogramm soll zunächst an der Zielgruppe "Angehörige des mittleren und gehobenen Managements" erprobt werden.

Die grundsätzliche Fruchtbarkeit einer Applikation des Konstrukts der Argumentionsintegrität auf den betrieblich-wirtschaftlichen Bereich (Management, Krankenhaus) konnte bereits gezeigt werden.


Zurück zum Institut  Up: zur übergeordneten Seite Webmaster: 30.04.1999